Beatrice von Braunbehrens

Götterfunken und stürzende Mäuse – Fotos von Beatrice von Braunbehrens

von Ute Mings

In seinen Essays zur Fotografie überlegte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der amerikanische Mediziner und Dichter Oliver Wendell Holmes, warum die Portraitierten auf den frühen Daguerrotypien beinahe unheimlich lebendig wirkten. Auch deshalb galt das neue Medium als geheimnisvolle schwarze Kunst, die magische Spiegel schuf: Bilder längst vergangener Menschen ließen sich anschauen, als ob sie noch lebten. Holmes schrieb dieses geheimnisvolle Leben der Beschaffenheit der Original-Daguerrotypien zu: Die spiegelnde Metallplatte war Positiv und Negativ zugleich. Wurde sie beim Betrachten entsprechend geneigt, oder der Betrachter selbst bewegte sich, schien die abgebildete Person den Kopf zu neigen, weil von der einen Seite das seitenverkehrte Positiv, von der anderen das Negativ in den Blick fiel; außerdem reflektierte die spiegelnde Oberfläche das Gesicht des Betrachters. Die Daguerrotypie war zu dieser Zeit schon weitgehend überholt, das Medium fast schon ein Alltagsphänomen geworden, trotzdem wählte Holmes für Fotografien eine Metapher, die sich auf die stark spiegelnden versilberten Kupferplatten bezog: „Spiegel mit einem Gedächtnis“, nannte er sie, und gab so der neuen Kunst die Merkmale des Wunderbaren aus ihrer Anfangszeit zurück. Er interessierte sich für das Rätsel, wie bewegte Objekte auf Fotos zum Stillstand kommen, so dass Bewegung wiederum zusammengesetzt aus lauter Momenten des Stillstands erscheint. Das Bild ist statisch und bezieht sich doch auf die dynamische Welt jenseits seines Randes – bewegt durch Einbildungskraft und Perspektive des Künstlers. Die Erscheinungen der Welt lassen das Wesentliche ahnen – und der Betrachter folgt.

„Was, wenn der Himmel nur ein einziger Hohlspiegel wäre, der das Bild all unserer Taten reflektierte und jegliches Tun, auf das er schaut, fotografisch festhielte auf toten und lebenden Oberflächen?“ (Wendel-Holmes) Für ihn war die Fotografie märchen- und zauberhaft und zugleich Technik, Natur und Kunst, Wissenschaft und zugleich Offenbarung: „Die Welt ist vielleicht nur das Negativ jener besseren Welt, in der aus Licht Schatten und aus Schatten Licht wird, doch alles in größter Harmonie.

Ein Fotograf stellt sich selbst und seine Kamera ein, öffnet seinen Blick durch die Einstellungen, nimmt etwas wahr, um es aufzunehmen. Erst aus der Kamera, dem besonderen fotografischen Blick eines Fotografen und dem ins Auge gefassten Stück von der Welt zusammen wird etwas zum Bild, das vorher nur als Möglichkeit existiert hat – aber zur Wirklichkeit gehört.

Zeigt eine künstlerische Fotografie mehr das Innere des Fotografen als das Äußere der Welt? Bei den Bildern von Beatrice von Braunbehrens verflüssigen sich solche scheinbaren Gegensätze zwischen Innen und Außen, persönlich oder objektiv. Sie haben eine Neigung zum Erstaunlichen im Banalen – wodurch das Banale der Außenwelt erstaunlich wird, und machen die Verwandlung von vertrauten Gebrauchsobjekten in ein unvertrautes expressives Objekt sichtbar. Sie zeigen keine spektakulären Dinge, sondern etwas, das wir immer sehen könnten. Wer schneidet diesen Augenblick aus? Zeigt er Mitspieler der Normalität, die aus der Rolle fallen, oder sind sie immer – auch – so?

Beatrice von Braunbehrens Fotos erwischen manchmal den Moment, in dem etwas aus seinem bestehenden Charakter ausschert und einem anderen zutreibt. Ein Mensch, ein Ding, eine Szene ist scheinbar still gestellt in der Fotografie, doch durch das Spiel von Licht und Schatten, durch Überlagerungen von Formen und Augenblicken lassen sie uns das Poetische, Schöne und Bemerkenswerte erkennen: die Poesie von übersehenen Schönheiten in den Transformationen und Bruchstücken des Realen, keine spektakulären Panoramen sondern unerforschte Augenblicke.